Des Löwen Kind: Die erste Präsidentin Georgiens Salome Surabischwili

Hintergrund

Im Oktober 2018 wurde in Georgien zum ersten Mal eine Frau zur Präsidentin gewählt. Eine erste Bilanz nach 100 Tagen Amtszeit.

Die georgische Präsidentin Salome Zourabichvili am Podium, ihr Beraterteam von links nach rechts: Pierre-Alexandre Crevaux, Ketevan Makharashvili, Lasha Zhvania, Dimitri Gabunia, Konstantine Natsvlishvili

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Ihr politischer Werdegang

Salome Surabischwili ist in Frankreich als Tochter einer georgischen Emigrantenfamilie geboren. Sie vertrat mehrere Jahre als französische Diplomatin ihr Land, zuletzt 2003 in Tbilissi, bevor sie 2004 georgische Außenministerin wurde. Von Anfang an war ihre Karriere als georgische Politikerin vom Willen mächtigerer Männer geleitet. Der georgische Expräsident Micheil Saakaschwili bat Frankreichs damaligen Staatspräsidenten Jaques Chirac um die Freistellung Surabischwilis aus dem französischen diplomatischen Dienst, um sie als Chefdiplomatin Georgiens einsetzen zu können.

Nur ein gutes Jahr nach ihrer Einberufung wurde Surabischwili im Oktober 2005 nach einem öffentlichen Zerwürfnis mit Saakaschwili aus dem Amt entlassen. Obwohl sie sich als Außenministerin eine gewisse Reputation aufbauen konnte, gelang es ihr anschließend nicht, sich nun als Oppositionelle mit eigenständigem Profil in der georgischen Politik zu etablieren.

Bei den Parlamentswahlen 2016 ließ sie sich als formell unabhängige Kandidatin aufstellen, wurde aber von Bidsina Iwanischwili und seinem Regierungsbündnis Georgischer Traum (GT) unterstützt. In Surabischwilis Wahlkreis stellte GT keinen Gegenkandidierenden auf und entsprechend gewann sie ihren Wahlkreis in der Altstadt Tbilissis und zog ins Parlament ein. Rückblickend ähnelt diese Vorgehensweise einer Testphase für ihre Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen 2018, die nach gleichem Muster abliefen.

Wahlkampf ohne ihr Gesicht: Die Präsidentschaftswahlen 2018

Im Juli 2018 setzte der GT eine Gesetzesänderung durch, die eine Kandidatur für Präsidentschaftswahlen auch mit zwei Staatsangehörigkeiten erlaubt, solange ein Verfahren zur Ablegung der zweiten Staatsangehörigkeit im Gange ist. Die Gesetzesänderung zielte speziell darauf ab, Salome Surabischwili die Kandidatur zu ermöglichen.

Seit 2012, als nach den Parlamentswahlen der GT die Vereinte Nationale Bewegung (VNB) ablöste, waren die Wahlen im letzten Jahr die spektakulärsten, aber auch umstrittensten. Die Wettbewerbsbedingungen der Wahlen waren unfair da die Regierung und  der Milliardär Ivanischwili zu millionenschweren Wahlgeschenken griffen, um die Stimmen der Wähler/innen „zu kaufen“. Außerdem waren die Wahlkampagnen von einer extrem negativen und aggressiven Rhetorik geprägt.

Das Gespann Iwanischwili, Surabischwili und der GT lieferte sich ein Kopf an Kopf Rennen mit Grigol Waschadse, dem Kandidaten der VNB und der ehemalige Außenminister Micheil Saakaschwilis (2008-2012). Der erste Wahlgang führte schließlich zur Stichwahl; der ersten in der Geschichte georgischer Präsidentschaftswahlen. Ein Schock für Iwanischwili und den GT, der seine Rhetorik gegenüber der VNB auf eine neue Ebene steigerte um den Sieg im zweiten Wahlgang sicherzustellen. Für den etwaigen Sieg Waschadses wurde die Rückkehr Saakaschwilis und Krieg in Georgien prophezeit.

Salome Surabischwili verschwand in dieser Phase gänzlich aus der Öffentlichkeit. Nur noch ihr Name war auf Plakaten zu lesen, die die führenden Männer der georgischen Politik zeigten:  Bidsina Iwanischwili oder Irakli Kobachidse, den Parlamentsvorsitzenden. Eine große Respektlosigkeit, auch für georgische Feministinnen, die von Surabischwili unkommentiert blieb. Zugleich ein ironisches Symbol der politischen Strategie Surabischwilis, die im Ergebnis funktionierte: Sie gewann mit 59,6 Prozent.

Mit ihrer Inauguration am 16. Dezember 2018 traten auch die Verfassungsänderungen in Kraft, die das Amt der Präsidentin schwächen und damit die parlamentarische Demokratie in Georgien stärken sollen, faktisch aber zur Machtkonzentration unter Iwanischwilis Kontrolle beitragen.

Geschlechtergleichstellung in Georgien

Die Art und Weise wie Salome Surabischwili Präsidentin Georgiens wurde, passt sehr gut zu den kulturellen Ideen von Geschlechtergleichstellung im Land und bestärkt alte Klischees. Oft wird zum Thema Gleichstellung aus dem Nationalepos „Der Recke im Tigerfell“ zitiert:

„Mag auch ein Weib nun unser Land regieren,
Von Gott erschaffen ist sie ja wie wir,
Sie wird das Zepter schon mit Würde führen.
Das ist gewiss! Denk nicht, wir schmeicheln Dir.
Schon jetzt ist ja ihr ganzes Thun und Treiben
So sonnenhell wie ihrer Anmut Schein.
Des Löwen Kind wird immer Löwe bleiben,
Mag es nun Löwe oder Löwin sein.“

Schota Rustaweli, übersetzt von Arthur Leist

In Georgien ist es zwar weithin akzeptiert, dass Frauen Positionen wahrnehmen können, die nach traditionell konservativen Vorstellungen primär von Männern bekleidet werden sollten, allerdings wird von Frauen erwartet, sich an den für sie vorgegebenen Rahmen anzupassen, sich zu fügen. Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist also eher ein oberflächliches Vorzeigemerkmal. Die Selbstzusicherung, dass sogar auch eine Frau in der Lage sein wird zu regieren, wird zu Beginn des Gedichts deutlich. Dann wird die Frau aber als schönes Geschlecht inszeniert und am Ende die adelige Abstammung in den Vordergrund gestellt. Anstatt Zuver-sicht und Vertrauen zu vermitteln, wird die Bedeutung des Geschlechts heruntergespielt.

Auch Salome Surabischwili fügt sich in den Rahmen und spielt ihre Rolle so, wie andere es für sie vorgesehen haben – wenn man so will, als Löwen-Kind des Herrschers Iwanischwili. Ihr Geschlecht ist dabei ein willkommener Faktor, um besonders dem Westen ein Bild von Gleichberechtigung und Modernität in Georgien zu vermitteln.

Feministische Bewegung in Georgien

Seit 2014 eine Serie von „Ehrenmorden“ an Frauen die Öffentlichkeit wachrüttelte, entwickelt sich eine Frauenrechtsbewegung in Georgien in kleinen Wellen. Besonders junge Feministinnen fordern die ältere Generation der Frauenrechtlerinnen zu mehr Engagement auf. Eka Imerlischwili, Politikwissenschaftlerin und Mitglied der „Gruppe der unabhängigen Feministinnen“, und Alla Parunova, tätig bei der „Equality Movement“ und aktiv bei den „Jungen Grünen“, sind zwei Vertreterinnen des jungen feministischen Aktivismus.
Dass eine Frau nun das Amt des Präsidenten ausfüllt, drückt laut Eka Imerlischwili aus, wie symbolisch dieser Posten nun ist: „So symbolisch, dass dies nun sogar eine Frau übernehmen kann.“ Die Präsidentschaft bietet dennoch viele Möglichkeiten, der Rolle Bedeutung zu verleihen und eine eigene Stimme in der Politik zu sein.

Surabischwili ist als Präsidentin und Frau an der richtigen Stelle, um kontroverse und brennende Themen wie Gleichberechtigung, Geschlechterquoten oder ökonomische Benachteiligung von Frauen in die öffentliche Diskussion zu bringen, geht aber auf die Versuche von Frauenrechtsgruppen mit ihr zu kooperieren nicht ein. Wie Imerlischwili erklärt, könnte dies daran liegen, dass Surabischwili ohnehin eine geringe Unterstützerbasis in einem patriarchalen System hat und sich mit einem unpopulären Thema nicht noch unbeliebter machen möchte.

Ihre geringe Unterstützerbasis lässt sich neben ihrer französischen Vergangenheit auch durch in Georgien umstrittene Aussagen erklären, wie die Feststellung - Saakaschwili habe 2008 den Krieg in Südossetien begonnen. Auch beim Besuch in Aserbaidschan verpasst es Surabischwili geostrategische Neutralität gegenüber den Nachbarn in Bezug auf den Konflikt um den Bergkarabach zu wahren; ihre Bezeichnung, das von Aserbaidschan abtrünnige Gebiet sei besetzt, löst Kritik in Armenien aus.

Als ehemalige französische Staatsangehörige und versierte Diplomatin, sollte Surabischwili gut geeignet sein, um die Annäherung Georgiens an Europa weiter voranzubringen. Parunova bemerkt, wie es sie wütend macht, dass die Regierungspartei Surabischwilis Geschlecht ausnutzt, um westlichen Fortschritt zu demonstrieren und damit internationaler Kritik in Bezug auf die innenpolitischen Reformen entgegenzutreten. Dennoch sei die Kritik an ihr ein Stück weit gerechtfertigt, wenn diese auch bei weitem harscher ausfällt, da sie keine in Georgien geborene und eine Frau sei, wie Parunova feststellt. Wo es bei Männern geduldet wird Fehler zu machen, müssen sich Frauen in der georgischen Öffentlichkeit einer viel kritischeren Betrachtung ihrer Worte und Taten unterziehen.

Zukunftschancen

Surabischwilli könnte sich auf die Förderung der fähigen und kompetenten Frauen des Landes fokussieren. Diese bleiben oft außen vor, wurden zu viel mehr Selbstkritik als ihre männlichen Gegenüber erzogen und tragen immer noch die traditionelle Verantwortung für die Familie. Von dieser Chance macht die Präsidentin bisher aber keinen Gebrauch, obwohl die allgemeine Förderung von Frauen in der Politik durchaus in ihre Agenda passen würde. Auf der rhetori-schen Ebene sind ihre primären Themen nationale Sicherheit, Verteidigung, Gesundheitsvorsorge und Bildung. Allein, da über die Hälfte ihrer Wähler Frauen sind, wäre es angebracht, den Erwartungen der Frauen mit verstärkter Aufmerksamkeit entgegenzutreten.

So sind die ersten hundert Schontage der Präsidentin Surabischwili aus frauenpolitischer Sicht geprägt von Enttäuschungen: Die erste Präsidentin des Landes repräsentiert kaum die Interessen der Frauen, sondern beschränkt sich darauf, eine aufgeklärte Moderne zu simulieren.


Nino Lejava leitet seit 2011 das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Tbilissi.

Lara Depenbrock hat Politikwissenschaft und internationale Beziehungen in Mannheim und Tar-tu studiert und ist derzeit Praktikantin im Büro Tbilissi – Region Südlicher Kaukasus.