Wieso pinkeln politisch ist...

Toiletten sind alltäglich, doch ihr Fehlen hat weitreichende Folgen. Frauen, ältere Menschen und trans Personen erleben dadurch Einschränkungen im öffentlichen Leben, fühlen sich unsicher oder meiden Orte ganz. Catharina Meyer schreibt, dass vom Aktivismus in Indien bis zu lokalen Missständen in Deutschland deutlich wird: Gleichberechtigung beginnt manchmal auf den kleinsten Flächen: z.B. auf der Toilette.

Frau schreibt mit roter Farbe "Right to Pee" an eine Wand in Indien
Teaser Bild Untertitel
Aktivistin der Bewegung "Right to Pee" (das Recht zu Pinkeln), Mumbai, Indien, 2017

Liebe Leser:innen,

ich freue mich sehr über das Interesse an Hintergründen zu diesem Thema. Dieses Jahr feiere ich, Catharina Meyer, bereits meinen dritten Welttoilettentag – ein Anlass, der mir inzwischen sehr am Herzen liegt. Beruflich bin ich auf diesen Tag aufmerksam geworden, da ich seit Mai 2023 beim Bremer Informationszentrum für Menschenrechte und Entwicklung (biz) im Themenfeld Wasser arbeite.
2023 zeigten wir zum WTT den Film „Mr. Toilet“, der den beeindruckenden Aktivismus von Jack Sim, dem Gründer der Welttoilettenorganisation, porträtiert. Er war es, der sich bei den Vereinten Nationen erfolgreich für die Einführung des Welttoilettentags eingesetzte. 2024 folgte der Film „Holy Shit“, der bei unserem Publikum auf großes Interesse stieß. Nun greifen wir das Thema mit der ausgestellten Komposttoilette dieses Jahr erneut auf.

Ich möchte gerne den Blick auf ein Thema lenken, das oft übersehen wird: das Fehlen öffentlicher Toiletten – und welche Auswirkungen dies auf gesellschaftliche Teilhabe hat. Besonders eindrücklich fand ich dazu den Beitrag „Pinkeln ist politisch“ im Deutschlandfunk, in dem beschrieben wurde, dass die häufigste Frage in der Bibliothek lautet: „Wo ist die Toilette?“. Deshalb freut es ich mich besonders, dass die Ausstellung in der Stadtbibliothek steht.

Beim biz geht es uns in unserer Arbeit um die Verbesserung der Lebensbedingungen weltweit. In diesem Zusammenhang bin ich auf eine Bewegung in Indien gestoßen, die mich besonders beeindruckt hat: „Right to Pee“. Diese Initiative setzt sich dafür ein, dass Frauen kostenfreie, sichere und saubere Toiletten im öffentlichen Raum nutzen können – ein Anliegen, das weit mehr ist als eine praktische Frage. Es geht um Gleichberechtigung im Alltag, um die Sichtbarkeit von Frauen im öffentlichen Raum und um das Recht auf Teilhabe. 2014 erreichten die Frauen mit der Drohung, vor dem Parlament zu urinieren, dass sie an den Verhandlungstisch kamen. Seitdem wissen sie: "Wir müssen die Politiker:innen in Verlegenheit bringen".

Auch hierzulande ist die Situation nicht ideal. Die Heinrich-Böll-Stiftung hat für Bremen recherchiert und auf Missstände in der öffentlichen Toiletteninfrastruktur hingewiesen. Dass Toilettenfragen in Deutschland meist am Rande verhandelt werden – obwohl sie zentral für gesellschaftliches Leben sind – zeigt, wie stark das Thema immer noch tabuisiert ist.
Besonders empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang die Ausgabe der Feministischen Geo-Rundmail mit dem Titel „Pissen ist politisch“. Darin finden sich zahlreiche spannende Beiträge, die Toiletten aus gesellschaftlicher, feministischer und räumlicher Perspektive beleuchten. Aus diesem Heft stammt auch der Artikel „Toiletten: Die Materialisierung eines Wechselgefüges von Raum und Geschlecht“ von Eva Brauer (FH Fulda). Ihr Text hat mich besonders angesprochen.
Brauer zeigt, dass Toiletten mehr sind als Orte der Notdurft – sie sind Spiegel gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Öffentliche Toiletten strukturieren, wer sich wann und wie im öffentlichen Raum bewegen kann. In Indien etwa gibt es ein eklatantes Ungleichgewicht: Für Männer existieren tausende öffentliche Toiletten, für Frauen dagegen nur wenige. Das zwingt viele Frauen dazu, ihren Alltag anzupassen – sie trinken oder essen tagsüber weniger, um nicht auf die Toilette zu müssen, oder suchen abgelegene Orte auf. Neben gesundheitlichen Risiken führt das auch zu mehr Angst und Unsicherheit.
Hier wird deutlich, was die Aktivistinnen der Bewegung Right to Pee meinen: Das Recht, auf die Toilette gehen zu können, ist ein Menschenrecht – und ein Symbol für Gleichberechtigung.

Doch auch in Deutschland zeigt sich, dass Toiletteninfrastruktur geschlechterungleiche Strukturen fortschreibt: Kostenfreie Pissoirs sind selbstverständlich, während Frauen oft bezahlen müssen. Viele vermeiden öffentliche Toiletten aus Scham oder Ekel – ein Verhalten, das wiederum den Mythos bestätigt, Frauen wollten solche Orte „von Natur aus“ nicht nutzen. So wird eine räumliche Ungleichheit unsichtbar gemacht und als individuelles Problem dargestellt.

Brauer argumentiert in ihrem Text, dass diese Unterschiede nicht zufällig sind, sondern tief in unsere Körper und Gewohnheiten eingeschrieben werden. Das vermeintlich private Thema „Toilette“ zeigt also sehr deutlich, wie gesellschaftliche Hierarchien funktionieren.
Wer über Toiletten spricht, spricht über Zugang, Sicherheit, Würde und Gerechtigkeit. Das Recht auf eine Toilette – das „Right to Pee“ – ist für mich auch ein Recht auf Teilhabe.

Linksammlung:
https://www.youtube.com/watch?v=DqrxBK_gJMU Trailer Mr. Toilet
https://holyshit-derfilm.de/
https://www.deutschlandfunkkultur.de/geschlechtergerechte-stadt-pinkeln-ist-politisch-100.html
https://www.youtube.com/watch?v=pDErHyyU9Uk Interview Right to Pee
https://ak-feministische-geographien.org/rundmail/ Themenheft Nr. 84. Pissen ist politisch
https://taz.de/Zum-internationalen-Welttoilettentag/!5725602/