Weniger Kooperation, mehr Unsicherheiten

Analyse

Wenn Großbritannien am 12. April oder im Mai die EU verlässt, dann ergeben sich auch im Bereich der Klima- und Energiepolitik neue Herausforderungen auf beiden Seiten des Kanals, was durch die Beispiele Emissionshandel, Binnenmarkt und Atomkraft deutlich wird.

Weniger Kooperation, mehr Unsicherheiten - Das Bild zeigt das Europäische Parlament
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Die EU muss sich fragen, wie es ohne Großbritannien weitergehen soll. Ideen für die zukünftige Zusammenarbeit liegen bereit.

Kein Chaos bei Klima und Energie nach dem Brexit – das verspricht UK-Energiestaatssekretärin Claire Perry. EU-Recht übernimmt Großbritannien in nationales Recht. Zusätzlich wurde bereits ein Gesetz verabschiedet, das neue Zuständigkeiten bei Energielieferungen regelt.

Tatsächlich ist Großbritannien in diesem Bereich gut aufgestellt, anders als zum Beispiel beim Warenverkehr, der durch die Nadelöhr-Situation in Calais und Zollkontrollen vor großen Schwierigkeiten stehen wird. Trotzdem wird entscheidend sein, ob das Abkommen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union wie geplant noch angenommen wird.

Tritt also die Übergangsfrist ein, ändert sich erst einmal nicht viel und beide Seiten haben bis Ende 2020 beziehungsweise bis maximal Ende 2022 Zeit, auch die gemeinsame Klima- und Energiepolitik neu zu verhandeln. Insbesondere wird sich Großbritannien fragen müssen, ob sie sich weiterhin an EU-Systemen, wie dem Emissionshandel oder dem Energiebinnenmarkt beteiligen will.

In der EU hingegen könnte es zu Verschiebungen der Ziele kommen. Strenge Emissions- und Klimaziele, Technologieoffenheit und marktwirtschaftliche Instrumente wurden insbesondere von Großbritannien intensiv vorangebracht und verteidigt. Dass dazu in den letzten Jahren bereits viele grundlegende Entscheidungen getroffen wurden, wird es, Befürchtungen zum Trotz, im Nachhinein schwierig machen, die Klima- und Energiepolitik der EU auf den Kopf zu stellen.

Europäischer Emissionshandel verliert zweitgrößten Teilnehmer

Die Reduzierung der CO2-Emissionen genießt in der EU einen hohen Stellenwert. Der Europäische Emissionshandel (EU-ETS) ist eines der marktwirtschaftlichen Instrumente der EU, um die Industrie klimafreundlicher zu machen.

Dazu werden Emissionsberechtigungen an energieintensive Industrieanlagen herausgegeben, mit denen auch gehandelt werden kann. Im Laufe der Zeit wird die Anzahl der Berechtigungen gesenkt, wodurch Unternehmen angehalten werden, CO2-Emissionen zu senken. Die Bedingungen des ETS mussten immer wieder angepasst werden, und das System hat noch nicht die Wirkung erzielt, die sich die EU erhoffte.

Mit einem harten Brexit würde Großbritannien erst einmal aus dem ETS aussteigen, auch wenn Nicht-Mitgliedern die Teilnahme am Emissionshandel wie bei Norwegen, Island und Liechtenstein generell ermöglicht wird. Nichts würde sich hingegen ändern, wenn Großbritannien das gemeinsam ausgehandelte Abkommen annehmen würde. Dann bliebe es für die Übergangszeit weiterhin im ETS.

Zwar hat die EU durch Maßnahmen verhindert, dass keine zusätzlichen Berechtigungen in den Markt fließen und den Preis drücken würden. Doch als zweitgrößter CO2-Emittent innerhalb des ETS würde der Markt gestutzt und das Handelssystem könnte an Bedeutung verlieren.

Energiebinnenmarkt muss nachverhandelt werden

Durch den vollständigen Verzicht auf Kohle als Energiequelle bis 2025 verschiebt sich die Nachfrage seit einigen Jahren in Richtung Erdgas. Das macht Großbritannien abhängig von Importen, da sie selbst nicht über ausreichend Ressourcen verfügt. Derzeit kommen über die Hälfte der Importe aus den Niederlanden, Belgien und Norwegen – Mitgliedern des EU-Binnenmarkts für Energie. Seit einiger Zeit treibt die EU den Europäischen Energiebinnenmarkt voran, um Überproduktionen und Nachfragehochs in ganz Europa ausgleichen zu können.

Ob Großbritannien weiterhin Zugang zum EU-Energiemarkt haben wird, muss im zukünftigen Handelsabkommen erst noch beschlossen werden, wovon aber auch im Interesse der EU auszugehen ist. Aber den gibt es nicht um jeden Preis. Zum Beispiel weigerte sich die EU so lange, die Schweiz in den Energiebinnenmarkt aufzunehmen, bis nicht alle weiteren Beziehungen zwischen ihnen geregelt waren.

Um weiterhin am europäischen Gas- und auch Strommarkt angeschlossen zu sein, wird Großbritannien zusätzlich alle entsprechenden EU-Normen und -Richtlinien einhalten müssen, ohne aber selbst an der Gesetzgebung mitwirken zu können. Seinen Einfluss wird es verlieren.

Aus Sicht der (vor allem westlichen) EU-Mitgliedsstaaten bleibt Großbritannien aber ein wichtiger Partner auf dem Energiemarkt, vor allem als Abnehmer von Überschüssen beim Strom oder als Lieferant von Gas aus Schottland.

Neuer Aufschwung für Atomenergie in Großbritannien?

Um höhere Verbraucherpreise zu verhindern und die Abhängigkeit von Gasimportanten zu reduzieren, könnte Großbritannien seine ehrgeizigen Ziele in der Atomkraft reaktivieren. Nachdem Atomkraftwerke in vergangener Zeit immer unrentabler geworden sind, könnte die Regierung mit Subventionen der Atomindustrie ungehindert unter die Arme greifen. Das wurde bisher noch von einigen EU-Mitgliedsstaaten als wettbewerbsverzerrend angeklagt.

Doch die Industrie steht mit dem Brexit trotzdem vor neuen Herausforderungen. Großbritannien hat nämlich erklärt, dass es auch aus Euratom austreten wird. Euratom wurde bereits 1957 gegründet, um sich gegenseitig beim Handel mit und der Forschung zu Atomenergie zu unterstützen. Dies würde erst einmal wegfallen und derzeitige Beziehungen müssten umständlich neuverhandelt werden.

Eine gemeinsame Zukunft der Klima- und Energiepolitik

Wie das zukünftige Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien aussehen wird, ist noch ungewiss. Die an das Abkommen gebundene Erklärung über die künftigen Beziehungen sieht zwar enge Partnerschaften in vielen Bereichen vor. Doch vieles davon muss erst noch umgesetzt werden und die Schwierigkeiten liegen, wie sich derzeit herausstellt, häufig im Detail.

Auch mit Annahme des Abkommens wird die Zeit der Unsicherheiten bleiben. Insbesondere die fehlende Investitionssicherheit wird es kleineren innovativen Unternehmen und Energiegenossenschaften schwerer machen, finanzielle und politische Unterstützung zu gewinnen. Profitieren werden davon vor allem die großen Energieversorger, die bereits angekündigt hatten, weiter in die Energie-Infrastruktur zu investieren.

Mit EU-finanzierte Infrastrukturprojekte wie Stromleitungen und Gaspipelines sowie Forschungsprojekte sind ebenfalls in Gefahr. Der schwache Pfund könnte zusätzlich Gasimporte teurer machen. Steigende Gas- und Strompreise für Verbraucher können die Folge sein.

Für die Europäische Union könnten sich die politischen Koordinaten bei der Klima- und Energiepolitik verschieben. Mit Großbritannien verliert sie einen Vertreter marktliberaler Positionen auch in der Energiepolitik. Die Öffnung der Energiemärkte bleibt aber unumstößlich. Zukünftige Klimaziele und Maßnahmen der EU würden aber skeptischer betrachtet, da der ambitionierte Klimaschützer Großbritannien als Fürsprecher fehlt. Positionen zu strengeren Kontrollmechanismen bei der Erreichung der Klimaziele, wie auf der Klimakonferenz gefordert, könnten nun jedoch eher zu haben sein.

Großbritannien wird in der Klima- und Energiepolitik, ob mit oder ohne Abkommen, in Zukunft vermehrt eigene Wege gehen und sich weiter von der EU-Politik entfernen. Auch wenn es Möglichkeiten der Zusammenarbeit geben wird und die EU Großbritannien bewusst Türen offenhalten wird, zeichnet sich mehr Eigenständigkeit in der Politik Großbritanniens ab.