Replik auf die Antwort

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Es freut mich, dass meine Zuspitzungen dazu beigetragen haben, die aktuelle EU-Politik weiter zu diskutieren. Vielen Dank deshalb an Emanuel Herold für seine Antwort. Meine Replik ist auch vielleicht eher eine Klarstellung; ich freue mich darauf, wenn wir bald wieder „real“ diskutieren können.

EU Flaggen vor der europäischen komission

Sorry für den missverständlichen Eindruck, ich habe natürlich nicht mein hohes Alter als Argument benutzen wollen, sondern die Erfahrungen, die die europäischen Institutionen gemacht und „gespeichert“ haben. „Schon ganz andere Krisen überstanden“ bezog sich deshalb auch nicht auf diese jetzige Krise, sondern eben auf frühere im Vergleich zu noch früheren.

Ich habe ausdrücklich gesagt, dass meine Kritik sich auf ähnliche Äußerungen vieler Grüner bezog, deren Kern in verschiedenen Variationen so war: „Corona-Bonds oder die EU ist gescheitert“. So wie es früher hieß „Die Verfassung oder die EU ist gescheitert“, „Gerechte Verteilung der Flüchtlinge oder die EU ist gescheitert“ usw.; ich habe grundsätzlich in Frage gestellt, ob solche Dramatisierungen politisch nützlich sind, egal wie wichtig man eine Frage findet. Und eine solche Dramatisierung fand ich in Emanuel Herolds Beitrag ebenso wie in Stellungnahmen aus den grünen Fraktionen in Brüssel und Berlin und aus der BAG. Wo ich einzelne Personen, ausdrücklich nicht Emanuel Herold, kritisiere, habe ich das kenntlich gemacht.

Wir sind uns weiterhin vollkommen einig, dass wir für gemeinsame Anleihen der Europäischen Union eintreten; obwohl Giegold beim Länderrat erklärt hat, der Zinsunterschied zu nationalen Anleihen würde grad noch 0,01 Prozent betragen. Wir sollten aber dennoch weiter dafür eintreten; auch dafür, dass es derartige Instrumente in dem Vorschlag für die Erweiterung des EU-Haushaltes gibt, den die Kommission jetzt ausarbeiten soll. Wir müssen allerdings zugeben, dass wir bisher kein richtig gutes Argument gegen die Einschränkung haben, die auch Juncker in seiner Gastrede für den Länderrat formuliert hat: ESM geht sofort, Bonds brauchen eine längere Vorbereitungszeit.

Es erschien nie „rätselhaft“, warum die Regierung Conte den ESM nicht in Anspruch nehmen wollte. Der Grund war einfach und klar, nämlich das Veto der Fünf Sterne, und das war begründet aus deren tief EU-feindlichen Haltung heraus. Ministerpräsident Conte hat den Beschlüssen des Rates am 25. 4. (ohne „Corona-Bonds“, aber mit der grundsätzlichen Bereitschaft für einen noch zu definierenden Wiederaufbaufonds) zugestimmt. Welche Wirkung wird das für die italienische Innenpolitik haben? Das weiß derzeit noch niemand, würde ich vermuten. Renzis jüngste Attacken gegen Conte kamen auch überraschend, oder? Und hatten nichts mit „Brüssel“ zu tun.

Emanuel Herold wirft in seiner Antwort die Frage nach der „Einpreisung innenpolitischer Dynamiken“ auf, die man dann vornehmen müsse, wenn die Konsequenzen von „massiver europäischer Tragweite“ wären. Grundsätzlich gibt es diese „Einpreisung“ ja immer; und eine intelligente und verantwortungsvolle Europapolitik eines Mitgliedsstaates wird immer Bescheid wissen wollen, welche Wirkungen Beschlüsse nicht nur für die eigene Innenpolitik, sondern auch die politische Situation in anderen Ländern haben. Insoweit ist Europapolitik immer auch Diplomatie.

Die Berücksichtigung der innenpolitischen Lage anderer Länder hat aber Grenzen. Nicht nur die Grenze der eigenen Interessen, sondern auch die Grenze, dass wir fast nie sicher sein können, welche Wirkungen bei welchen Maßnahmen denn wirklich eintreten würden. Nach dem Brexit gab es viele Kluge, die uns gesagt haben, die EU hätte Großbritannien „entgegenkommen“ müssen. Aber wissen wir, wie solch „Entgegenkommen“ in Einzelfragen sich ausgewirkt hätte? Vielleicht ja eher als Auftrieb für die EU-Gegner, als ihr Erfolg nämlich, und „jetzt erst recht das Ganze“? Welche Maßnahmen der EU haben der PiS in Polen geschadet, welche genutzt? Kann das ein verlässlicher Maßstab für europäische Entscheidungen sein? Wollen wir Initiativen von Macron zustimmen, auch wenn wir sie für falsch halten, damit er die nächste Wahl gewinnt (oder eben deswegen gerade nicht)? Können wir wirklich wissen, welche Dynamik in Italien oder Spanien durch welche Beschlüsse ausgelöst werden?

Sind wir in der Lage zu sagen: Wir „retten“ Conte, die Gefahren in den Niederlanden sind klein und kontrollierbar, wie Emanuel Herold es formuliert? Und was bedeutet es für die Balance und die politischen Aushandlungsformen in der EU, wenn das Auftreten der italienischen Regierung als Erpressung angesehen und nachgeahmt werden würde?

Den Satz „Die Europäische Union ist nicht auseinandergefallen“ habe ich so gemeint, dass der Europäische Rat einstimmig einen Beschluss gefasst hat, bei dem sich die deutsche Bundesregierung so weit in einen Kompromiss bewegt hat, dass auch Italien zustimmen konnte. So wie sie das schon zwei Wochen zuvor mit der europäischen Arbeitslosen-Rückversicherung in Höhe von 100 Mrd. gemacht hat – bis zur kurzem noch ein Unding und wahrlich keine kleine Sache. Das Geld wird den Ländern zugutekommen können, die wie wirtschaftlich besonders hart getroffen sind, vor allem auch Spanien, Italien, Frankreich.

Und noch einmal: Ich weiß, Dramatisierung gilt als notwendiges Handwerkszeug in der Politik. In der europäischen Politik ist sie aber gefährlicher als sonst, weil sie viel zu schnell an nationalistische Freund-Feind-Schemata andocken und emotional aufgeladen werden kann. Darauf wollte ich vor allem hinweisen.